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Lesenswert und Wissenswert.

Umstellungsprojekt HGB - IFRS: ein Erfahrungsbericht

Umstellungsprojekt HGB - IFRS: ein Erfahrungsbericht

Ersterscheinung in ‚BC – Zeitschrift für Bilanzierung, Rechnungswesen und Controlling’, Heft 2/2013, Erfahrungsbericht: Aus der Praxis – für die Praxis: Einführung der IFRS bei einem petrochemischen Produktionsbetrieb, Seiten 72 bis 76, mit freundlicher Genehmigung der BC-Redaktion, Verlag C. H. Beck oHG, München (www.bc-online.de)

Autor: Herbert A. Geiger

1. Der Auftrag

Vor geraumer Zeit führte mich ein Auftrag zu einem Unternehmen der petrochemischen Industrie mit dem Ziel, aufgrund der Übernahme der Gesellschaft durch einen Konzern die erforderliche Einführung von IFRS (International Financial Reporting Standards) zu begleiten.

Der künftige Mutterkonzern – nennen wir diesen der Einfachheit halber die „Öl-Handels AG“ (ÖHA) – war bislang ein reines Handelsunternehmen, das sich durch den Zukauf den Zugang zu den dort produzierten Treibstoffen sichern wollte.

Die ÖHA ist bereits seit Längerem börsennotiert und kennt sich mit den Anforderungen der IFRS aus, besitzt jedoch keine konkreten Rechnungslegungserfahrungen beispielsweise mit Produktionsanlagen, Halbfertigprodukten etc.

Das übernommene Unternehmen – hier Biotreibstoff GmbH (BTG) genannt – war bisher ein inhabergeführtes Familienunternehmen, das ausschließlich in der HGB-Welt beheimatet war. Aufgrund meiner beruflichen Erfahrungen mit produzierenden Unternehmen wurde ich von der ÖHA ins Projektvorbereitungsteam berufen und konnte so bei der kompletten Gestaltung der IFRS-Einführung mitwirken. Bei der Einarbeitung in den Sachverhalt und der Vorbereitung des Projekts konnten wir zudem auf verschiedene Literaturquellen, u. a. BC 2004, S. 133 ff. (Heft 6) „Quick-Check zur organisatorischen Umstellung von HGB auf IFRS“ und andere Beiträge aus der BC zurückgreifen. Dort wurde die Grundgliederung eines Umstellungsprojekts beschrieben, die wir für unser Vorhaben übernehmen konnten:

Analyse – Strategie – Planung – Realisierung – Betreuung.

2. Die Vorgehensweise

a) Analyse

In der Analyse-Phase hatten wir die aus dem vorangegangenen Akquisitions-Projekt (zum Unternehmenserwerb) gewonnenen Kenntnisse übernommen und verwertet. Durch die vertikale Erweiterung der ÖHA um ein produzierendes Segment ergaben sich viele Besonderheiten, die bislang im Konzern nicht angewendet wurden: Neu waren z. B. die Rohstoffbeschaffung auf landwirtschaftlichen Märkten, zugehörige Sicherungsgeschäfte und Terminkäufe, die neu entsprechend in der Projektplanung berücksichtigt werden mussten.

Der Kenntnisstand in internationaler Bilanzierung bei der BTG beschränkte sich auf vereinzelt vorhandene theoretisch erworbene Grundkenntnisse, weshalb hier für den dauerhaften Erfolg der Umstellung noch Weiterbildungsbedarf bestand. Des Weiteren war zu beachten, dass der Zeitrahmen für die IFRS-Umstellung nach der Genehmigung der Übernahme durch das Kartellamt recht eng gesteckt sein wird, da die Übernahme in der auf die Genehmigung folgenden Quartalsbilanz der ÖHA abgebildet werden musste. Hieraus resultierte ein größerer Bedarf an Personalressourcen für die Umstellungsarbeiten, welcher weder bei der ÖHA noch bei der BTG zur Verfügung stand.

b) Strategie

Vor diesem Hintergrund wurde eine zweistufige Strategie gewählt: Bei der ÖHA wird als führendes Ledger (Hauptbuch) nach IFRS gebucht, mit Anpassungsbuchungen zu den HGB-Einzelbilanzen und zur Steuerbilanz. Diese hierarchische Aufteilung sollte auch bei der BTG angewendet werden, was aber aufgrund der Zeitknappheit nicht sofort umsetzbar war.

Daher wurde entschieden, im ersten Geschäftsjahr bei der BTG weiterhin nach HGB zu buchen und eine Überleitung zu IFRS separat darzustellen. Diese Zeit sollte zur Schulung der Mitarbeiter der BTG genutzt werden, um die korrekte Anwendung der IFRS-Regelungen zu gewährleisten. Zudem war bei der BTG vorerst keine System-Umstellung auf SAP (das bei der ÖHA eingesetzt wird) vorgesehen, sondern es wurde weiterhin mit Tacoss gearbeitet.

c) Planung und Realisierung

Für die Projektplanung hatten wir – unter Beachtung des bei der BTG vorhandenen HGB-Kontenrahmens (auf SKR03 basierend) – die Erweiterung des ÖHA-Konzernkontenrahmens vorbereitet. Um die Verwendung der Buchungsdaten der BTG
auf Kontenebene zu ermöglichen, ist der BTG-Kontenrahmen um diverse Konten ausgebaut worden: Die Bilanzkonten – soweit nicht bereits so angelegt – wurden in lang- und kurzfristige Konten aufgeteilt und diverse Eigenkapitalkonten (z. B. sonstige Ergebnisrücklage = Other Comprehensive Income – OCI etc.) neu angelegt; im Bereich der Gemeinkosten (z. B. Personalkonten) wurden ebenfalls weitere Konten eingeführt, was zur Vorbereitung auf die Umstellung vom Gemeinkostenverfahren (GKV) auf das Umsatzkostenverfahren (UKV) diente. Mit der Erweiterung des Kontenplans konnte eine Mapping-Tabelle erstellt werden (für einen Abgleich der HGB-Konten mit den IFRS-Konten), die eine Zuordnung der einzelnen Konten auf den IFRS-Kontenplan der ÖHA ermöglicht.

Die nächsten Punkte auf der To-do-Liste: Alle vorhandenen Bilanzpositionen durcharbeiten und auf Unterschiede zwischen HGB und IFRS untersuchen. Zudem wollten wir bereits in der Planungsphase alle bilanzpolitischen Entscheidungen (durch die ÖHA) beschließen lassen, damit es bei der Umsetzung nicht zu Verzögerungen aufgrund eventuell notwendiger Entscheidungsprozesse im Konzern kommt. Bei der Erarbeitung der Unterschiede und der Vorbereitung von Entscheidungen zur Klassifizierung von Konten sowie zur Anwendung von Wahlrechten war uns die beiliegende Liste (bitte per Mail anfordern) ein wertvolles Hilfsmittel.

Parallel zu den Entscheidungsprozessen konnten wir die Projekt- und Kapazitätsplanung erstellen. Hier zeigte sich, dass wir zusätzlich zur Behebung von reinen Kapazitätsengpässen (bei der Einführung der IFRS bei der BTG) auch erweitertes Know-how benötigen würden: Zur Abbildung des Hedge-Accountings (u.a. Rohstoffsicherungsgeschäfte und zur Absicherung von Fremdwährungsrisiken) nach den IFRS konnten wir einen Wirtschaftsprüfer gewinnen, der als Experte dieser Materie gilt. Zur Darstellung der Leistungen an Arbeitnehmer nach IAS 19 „Leistungen an Arbeitnehmer“ (Employee Benefits) wurde eine hierauf spezialisierte Kanzlei beauftragt, und für die Kapazitätserweiterung des Projektteams wurden Zeitarbeitskräfte mit IFRS- und Branchenkenntnissen engagiert. Die Genehmigung der Übernahme durch das Kartellamt war ohne Probleme zu erhalten; diese wurde plangemäß im Januar erteilt. Damit hatten wir über zwei Monate Zeit, die Eröffnungsbilanz und den Vorjahresabschluss für die BTG nach IFRS aufzustellen sowie den ersten Quartalsabschluss vorzubereiten. Üblicherweise werden bei einer Umstellung auf IFRS die Vorjahresbilanz und auch eine Vor-Vorjahresbilanz vorab erarbeitet, was uns aber nicht möglich war, da wir vor der Zustimmung des Kartellamts keinen vollen Zugriff auf die hierfür erforderlichen Detail-Unterlagen bekommen konnten. Die Daten aus der Due Diligence-Prüfung (sorgfältige Prüfung) waren leider nicht detailliert genug, um daraus bereits diese Bilanzen zu erstellen. Somit konnten auch nicht anhand von diesen Vorjahresbilanzen die vorbereiteten Bilanzierungsrichtlinien geprüft werden; dies musste im laufenden Umstellungsprozess nebenbei erledigt werden.

d) Umstellungsmaßnahmen mit Blick auf Bewertungsfragen

Die Aufgabenpakete für die Umstellungsmaßnahmen sind anhand der einzelnen Bilanz- und GuV- Positionen, die wir als potenzielle Abweichungen zwischen HGB und IFRS identifiziert hatten, gebildet und verteilt worden. Ich sollte mich um Bewertungsthemen und die Verteilung des Kaufpreises auf die Bilanzpositionen (PPA – Purchase Price Allocation – Kaufpreisallokation) kümmern. Zu diesem Zweck untersuchte ich das Anlagevermögen und bewertete jede Position nach den Vorschriften der IAS 16 „Sachanlagen“ (Property, Plant and Equipment) und IAS 36 „Wertminderung von Vermögenswerten“ (Impairment of Assets) unter Beachtung des IFRS 1 „Erstmalige Anwendung der IFRS“ (First-time Adoption of IFRS) und des IFRS 3 „Unternehmenszusammenschlüsse“ (Business Combinations) neu.

Hierzu war auch die Erstellung einer detaillierten Fünf-Jahresplanung notwendig, was durch die erhebliche Abhängigkeit der BTG von politischen Vorgaben sehr erschwert wurde (keine verlässliche Konkretisierung der Rahmenbedingungen); zudem bestand eine hohe Unsicherheit bezüglich der Marktpreisentwicklung der Rohstoffe. Diese Schwierigkeiten konnte ich durch die Anwendung der Szenariotechnik (Methode der strategischen Planung; dabei werden alternative künftige Situationen, die Wege dorthin und die Auswirkungen betrachtet und berechnet) in Verbindung mit einer vereinfachten Form der Delphi- Methode (wiederholte Befragung von verschiedenen Experten mit Konsenserzielungsabsicht) lösen. Die Delphi-Methode ist ein systemati- sches, mehrstufiges Befragungsverfahren mit Rückkopplung, die dazu dient, künftige Ereignisse, Trends, technische Entwicklungen und dergleichen möglichst gut einschätzen zu können. Im vorliegenden Fall sollten nicht nur Base-Case, Worst-Case (negatives Extrem-Szenario) und Best-Case (positives Extrem-Szenario) betrachtet werden, sondern noch zwei Trendszenarien („Expert Guess A“ [Positiv] und „Expert Guess B“ [Negativ]), die jeweils zwischen den Base- und Extrem- szenarien lagen und mit hoher Gewichtung in die Berechnung einflossen. Die Bewertung des Anlagevermögens ergab einen nennenswerten Überschuss des Kaufpreises über den beizulegenden Nettozeitwert der Sachanlagen unter Berücksichtigung der Schulden und Eventualschulden. Daher ließ ich mir sämtliche geltenden Verträge vorlegen, aus denen ich weitere Vermögenswerte identifizieren konnte. Aus den zur Verfügung gestellten Lieferverträgen konnte ein Auftragsbestand als Vermögenswert identifiziert werden; anhand der historischen Entwicklung der Umsätze mit den bestehenden Kunden ließ sich nachweisen, dass auch die Kundenbeziehungen an sich einen Vermögenswert darstellen. Für den Auftragsbestand wurde eine Nutzungsdauer von 15 Monaten angesetzt, und für die Kundenbeziehungen konnten 10 Jahre eingerechnet werden. Nach dieser Allokations- bzw. Kaufpreisverteilungsrunde verblieb noch ein weiterer Überschuss des Kaufpreises, der (gemäß IFRS 3.32) als Geschäfts- oder Firmenwert (Goodwill) anzusetzen war.

e) Überleitungsmaßnahmen

Die anderen Arbeitspakete bei der Umstellung auf IFRS sind von den Kollegen ebenfalls termingerecht und sauber abgearbeitet worden. Daran anschließend wurden die jeweiligen IFRS-Überleitungsbuchungen erstellt und die Überleitungsrechnungen nach IFRS 1.24 gefertigt. Das Ergebnis aus der Erstumstellung wird (gemäß IFRS 1.11) im Eigenkapital gezeigt; hierzu wurden die bereits vorbereiteten Eigenkapitalkonten bebucht (siehe Beispiele).

Beispiele der Buchungssätze:

 

Rückgängigmachung Rückstellungen:

Soll Sonstige Rückstellungen   200.000,00
                                    Haben Andere Rücklagen 200.000,00

 

Anpassung Sachanlagen:

Soll Maschinen 3.000.000,00
                                   Haben Andere Rücklagen 3.000.000,00

 

Erfolgsneutrale Einbuchung

latente Steuern:

Soll Andere Rücklagen 1.250.000,00
                                  Haben Latente Steuern 1.250.000,00

 

Abweichung Vorratsbewertung:

Soll Unfertige Leistungen (Vorräte) 200.000,00
                                  Haben Andere Rücklagen 200.000,00

 

Entsprechende Berücksichtigung fanden dabei z. B. Sachverhalte aus dem Hedge Accounting, aus der Bewertung von Finanzanlagen sowie aus den Pensionsrückstellungen. Ein spezielles Thema, das sich immer wieder als sehr komplex erweist, ist die Ermittlung der latenten Steuern aus den Überleitungsbuchungen. Auch dies wurde von dem verantwortlichen Kollegen adäquat gelöst. Die erforderlichen Informationen für die Notes (Anhangangaben) sind ausführlich dokumentiert worden; zu nennen wären beispielsweise die Beschreibung der Annahmen und Umsetzung der Effektivitätstests für das Hedge-Accounting, die Ermittlung der Zahlungsmittel generierenden Einheiten (CGU = Cash Generating Unit), die Beschreibung der Annahmen und der Durchführung aller einzelnen Bewertungsrechnungen, Änderungen von Abschreibungsdauern und -verfahren im Anlagevermögen, die Ermittlungsrechnungen für die latenten Steuern etc. Dadurch konnten alle Abschlüsse pünktlich geliefert werden.

f) Prüfung und Fortsetzungsarbeiten

Die eingeschaltete Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wurde laufend mit den Daten zur Umstellung auf die IFRS versorgt; die Abschlussprüfung verlief demzufolge quasi parallel zur Erstellung der besagten Abschlüsse und erforderte kaum zusätzliche Zeit. Letztlich war die Realisierung des Projekts aufgrund einer detaillierten Vorbereitung erfolgreich. Zu den offenen Punkten zählten noch im weiteren Verlauf die Festigung der Kenntnisse bei den Mitarbeitern der BTG, um dann IFRS als führendes Ledger (Hauptbuch) bei der BTG einführen zu können. Zudem mussten noch die Konzernbilanzierungsrichtlinien und der Konzernkontenrahmen entsprechend angepasst werden. Ein weiterer wichtiger Punkt war die Erstellung eines zeitnahen und aussagekräftigen Reportings, das integrativer Bestandteil des monatlichen Abschlusspakets werden sollte.

Die Umstellung der Buchführung auf die IFRS-Anwendung als führendes Ledger (Hauptbuch) konnte planmäßig bewältigt werden. Denn einige Mitarbeiter des IFRS-Projektteams stammten aus dem Rechnungswesen der BTG, die erste Praxiserfahrungen (während der Umstellung auf IFRS) mit der IFRS-Bilanzierung sammeln konnten. Darüber hinaus trugen auch die Schulungsmaßnahmen für alle Mitarbeiter zu einem nahtlosen Übergang bei, zumal auch weiterhin kompetente Unterstützung aus der „neuen“ Muttergesellschaft zur Verfügung stand. Last, not least förderte die Mitwirkung von Mitarbeitern aus der übernehmenden Gesellschaft und aus der übernommenen Gesellschaft (neben externen Experten) im IFRS-Projektteam die vertrauensvolle Zusammenarbeit, die für die Post-Merger-Integration (Unternehmensintegration nach der Kauftransaktion) von großem Vorteil war.

3. Resümee

„Der Übergang auf die IFRS-Rechnungslegung ist keine kleine Aufgabe“ (so Norbert Lüdenbach, IFRS – Der Ratgeber zur erfolgreichen Umstellung von HGB auf IFRS, Freiburg 2008); und weiter sinngemäß: Derartige Projekte wollen sorgfältig bedacht und geplant sein.

Sollten Sie Unterstützung bei Einzelfragen von IFRS oder US-GAAP benötigen oder gleich eine komplette Umstellung durchführen - wenden Sie sich gerne an uns!

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